“Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist!” (Matthäus 5,48, Schlachter 2000)
Jesus fordert uns mit diesem Satz bestimmt nicht auf, so vollkommen und fehlerlos wie Gott zu werden. Also muss etwas Anderes gemeint sein.
Es geht hier um Vollständigkeit im Sinn von »tamim« (eher „einwandfrei“). So wie Gottes Herz vollständig von Liebe erfüllt ist bis hin zur Feindesliebe, so sollen auch wir unser Herz vollständig (ungeteilt, rückhaltlos) der Liebe und dem Willen Gottes öffnen bis hin zur Feindesliebe.
»Vollkommen« meint hier also das Gleiche wie »von ganzem Herzen«.
In diesem Sinn sagt Jesus auch zu dem reichen Mann: »Wenn du vollkommen sein willst, dann gehe hin und verkaufe deinen Besitz und gib ihn den Armen« (Mt 19,21). Auch Paulus bezeichnet die Christen, die sich vom Heiligen Geist leiten lassen, als »Vollkommene« (vgl. 1. Kor 2,6; 1. Thess 4,1-10; vgl. 2. Tim 3,17). Diese Beispiele zeigen, wie vorsichtig man damit sein muss, die eigenen Vorstellungen von Vollkommenheit und den heutigen deutschen Sprachgebrauch in biblische Sätze hineinzulesen.
(Siegfried Zimmer. (2012). Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? Vandenhoeck & Ruprecht)
„Vollkommen sein“ meint im Hebräischen, etwas mit ganzem, ungeteiltem Herzen sein bzw. tun, ganze Sache machen (vgl. Mt 19:21; s. Erklärung zu 1. Mo 17:1). Es geht nicht um die eigene Tadellosigkeit, sondern darum, »ganz« für Gott und den Nächsten aufgeschlossen zu sein.
(Einführungen und Erklärungen aus der Stuttgarter Erklärungsbibel. Neuausgabe mit Apokryphen. (2005). (Mt 5,43–48). Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)